10.11.2009 - Jasemba 2009

Der Jasemba, offiziell eigentlich als Pasang Lhamu Chuli bezeichnet, ist ein 7350 Meter hoher Berg auf der Chinesisch-Nepalesischen Grenze im Himalaya. Er befindet sich im Solo-Khumbu-Gebiet und ist der Hauptgipfel des Nangpai-Gosum-Massivs, einem Ausläufer des Achttausenders Cho Oyu. 
Erstbestiegen wurde er am 12. Oktober 1986 im Rahmen einer japanischen Expedition.

In der deutschsprachigen Bergsteiger-Szene wurde der Jasemba vor allem durch die Bemühungen Hans Kammerlanders um seine vermeintliche Erstbesteigung bekannt. Kammerlander hat den Gipfel 2007 bestiegen und wusste nichts von den vorgängigen zwei Besteigungen.

Romolo Nottaris, Alpinist und Gründer von Newrock, zeigte uns vor einem Jahr eine Aufnahme dieser majestätischen Pyramide. Alle drei bisherigen Besteigungen führten über die weniger steile Nordseite oder über die südöstlichen Schneegrate. Unser Ziel ist es, den Gipfel über die sichere aber schwierige Rippe in der Mitte dieser fast 2000m hohen Südwand zu besteigen. Eine objektiv sichere Rippe, bestehend aus Schnee und Eis, trifft auf der Höhe von 7000m auf eine steile 200m hohe Felswand. Dann folgt eine Schneeflanke bis auf den 7350m hohen Gipfel.

Vieles ist für uns ungewiss. Die Schneerippe mit den riesigen Schneepilzen sieht kompliziert zu bezwingen aus. Wir wissen auch nicht, ob die Felsbarriere in angemessener Zeit passierbar ist. Schliesslich dürfen wir auf 7000m nicht zu viel Zeit verlieren und wir können auch nicht allzu viele Klemmkeile, Camalots und Haken mitnehmen, da wir ansonsten zuviel Gewicht mitschleppen und kaum vorankommen.
Im Vordergrund steht die alpinistische Herausforderung: Es gilt, den Berg ohne Sauerstoff, Fixseile und Höhenträger im Alpinstil zu besteigen.

Am 30. September 2009 heisst es für uns -  Simon Anthamatten, Samuel Anthamatten und Michi Lerjen - ab ins Abenteuer.
Wir sind in Zermatt aufgewachsen. Die Nähe zu den Bergen hat uns zum Bergsteigen gebracht und zu unserem Beruf als Bergführer. Simon wurde 2008 mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet, dem Oscar der Alpinisten, für eine Erstbegehung im Nepal. Michi stand mit 19 Jahren auf dem Nanga Parbat und Samuel kann Begehungen schwierigster Wände in Patagonien, Alaska und Kanada vorweisen.

Die Expedition startet anfangs Oktober und wird etwa sechs bis acht Wochen Zeit in Anspruch nehmen.
Nach zehn Flugstunden erreichen wir etwas erledigt Kathmandu. Ein kleiner Kulturschock übermannt uns. Chaos pur und doch funktioniert es. Nach zwei Tagen Kathmandu und einiger Bürokratie sind wir froh, nach Lukla zu fliegen. Trotz Regen fliegen die Piloten die dortige Flugpiste an. Nach fünfstündiger Wanderung erreichen wir Namche Bazar 3440m, in seinem Status als Mekka des Himalayas durchaus mit der Stellung Zermatts innerhalb der Alpen vergleichbar. Nach einem Ruhetag mit Yaksteak und Milktea brechen wir Richtung Basislager auf. Wir rechnen, dass wir dieses in vier bis fünf Tagesetappen erreichen.
Wir sind gespannt, den Jasemba endlich in Natura zu erblicken, erst dann können wir genau sagen, was uns wirklich bevorsteht.

Nach vier Tagen im Regen erreichen wir das Basislager auf 5200m, es liegen 30cm Schnee, aber wir sind guten Mutes und begeistert von dem Anblick des Jasemba - ein wahrer Traumberg!

Die geplante Route sieht machbar aus - jedenfalls von hier unten. Die nächsten Tage verbringen wir mit Akklimatisieren, hierfür besteigen wir einen 6300m hohen Berg und verbringen drei Tage im Gipfelbereich. Von diesem Gipfel aus können wir alle Abstiegsvarianten am gegenüberliegenden Jasemba studieren, denn falls wir es nach oben schaffen sollten, müssen wir auch irgendwie wieder runter. Wir kommen zum Schluss, dass es am besten ist die Aufsteigsroute wieder abzusteigen. Alle anderen Optionen sind der Lawinengefahr oder mächtigen, verwächteten Schneegraten ausgesetzt. Auch können wir somit den Vorteil nutzen, dass wir unser Zelt und Biwakmaterial nicht bis auf den Gipfel mitnehmen müssen.

Wir harren bei schönem Wetter eine Woche im Basislager aus, denn der Wind (90km/h) im Gipfelbereich ist zu stark. Wir werden langsam nervös und haben Zweifel, ob wir es wirklich schaffen können.
Endlich wechseln die Wetterprognosen: Die ganze Woche soll es trocken und sonnig bleiben bei Windgeschwindigkeiten auf 7000 Meter zwischen 30 und 40 km/h. Die Temperaturen liegen um die minus 17 Grad. 

Wir starten am 25. Oktober. Nach einem fünfstündigen Marsch über den zerrissenen Somnagletscher erreichen wir den Wandfuss auf 5800m. Am nächsten Tag kommen wir schnell vorran. Ein bisschen Eisklettern und dann Schneestapfen. Fast übermütig stellen wir unser Zelt auf einem Schneepilz auf 6500m auf. Wir übernachten angeseilt. Der Schneepilz, auf welchem unser Zelt steht, würde jedem SUVA-Baustellenprüfer das letzte Haar grau färben. Am nächsten Tag wird das Gelände sehr tückisch. Schneepilze in Grössen von PKW bis LKW und dazwischen steile Eiswände stellen sich in den Weg. Während man im Eis klettert, kann man sich sehr gut mit Eisschrauben sichern. Steht man aber im bodenlosen Schnee, kann man sich praktisch nur wie eine Wühlmaus fortbewegen, ohne jegliche brauchbare Absicherung. Man fragt sich, was das eigentlich noch mit Klettern zu tun hat, und man ist mit seinen Nerven am Ende, weil es immer ein Schritt voraus geht und dann wieder zwei zurück. Mit einer Tagesleistung von 'nur' 400 Höhenmeter richten wir ziemlich erschöpft unseren Biwakplatz auf 6900m ein. Eine horizontale Spalte in einem überhängenden Schneepilz birgt gerade genug Platz für unser Zwei-Personen-Zelt. Demnach gemütlich kann man sich auch die Nacht vorstellen. Die Höhe und die Anstrengungen der letzten drei Tage dienen nicht gerade der Moral für den Gipfelgang. Wir alle drei wissen, dass das schwierigste noch vor uns steht. Zwei Camalots, fünf Klemmkeile und 6 Haken müssen reichen, um die steile Felsbarriere zu knacken. In der ersten Seillänge geht es erst mal 20m senkrecht hoch. Der Fels ist fest, wir schätzen die technischen Schwierigkeiten auf M5. Doch auf 7000m Meter fühlt es sich wie unsere schwerste je gekletterte Seillänge an! Nach dieser Länge folgt eine für uns unüberwindbare senkrechte Wand. Wir entdecken einen kleinen Kamin weit rechts von uns. Über Mixedgelände erreichen wir den Kamin. In dieser letzten Seillänge können wir die senkrechte Wand umgehen und das Schneefeld erreichen. Wir haben die Schlüsselstelle geschafft. Uns ist klar, dass wir über die Felsbarriere heute wieder absteigen müssen. Unser Biwakmaterial ist in der Spalte auf 6900m. Haben wir uns in eine Falle gelockt? Das Schneefeld zum Gipfel entpuppt sich als 70° steile Eiswand, die zudem mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt ist und mit einigen Schneerippen durchsetzt ist. Wir kämpfen uns von Schneerippe zu Schneerippe. Die Waden schmerzen, die Nerven liegen blank und hier müssen wir wieder runter.   

Dank dem Teamgeist und unserer Motivation schaffen wir es trotzdem.

Am 29.Oktober 2009 um 14 Uhr 30 stehen wir auf dem Gipfel des 7350m hohen Jasemba. Michi, Samuel und Simon. Doch es kommt nicht richtig Freude auf - der Jasemba hat keine flach abfallende Seite. Ähnlich wie am Matterhorn ist man am Gipfel erst auf halbem Weg.

Voll konzentriert nehmen wir den Abstieg in Angriff. Am Gipfelgrat vergraben wir ein Teleskopstocksegment, dies dient uns als Anker zum Abseilen. Mit einem flauen Gefühl im Magen seilen wir in die 1600m hohe Wand ab. Die Sonne geht unter. Jetzt darf nichts schief gehen. Die Schneeflanke können wir an Eissanduhren abseilen und einmal vergraben wir noch einen Eispickel. Wir gelangen an die Felsbarriere. Dreimal seilen wir ab. Vorsichtig ziehen wir die 8mm-Seile ab. Sie verhängen sich nicht an all den Felszacken.
Bei Einbruch der Nacht schaffen wir es zu unserem Lager auf 6900m. Wir sind zu müde, um zu kochen und können wegen der Kälte kaum schlafen. Am nächsten Tag seilen wir noch 25mal an Eissanduhren, Keilen und Haken ab. Wir erreichen den Wandfuss und haben fast kein Material mehr. Spät am Abend erreichen wir das Basislager. Wir können es noch nicht glauben: Wir haben es geschafft!

Mit unserer Erstbegehung der Südwand wurde der Gipfel auch zum ersten Mal im Alpinstil bestiegen. Hook or Crook (VI, 1550m, 90°, M5 ) taufen wir die neue Linie am Jasemba.

 

Wir danken unseren Sponsoren und all denen die uns für dieses Projekt unterstützt haben.

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